Die Melone – Eine kleine Geschichte

 

Ein junger Mann, er war schlecht gekleidet, lediglich mit einer Jogginghose, über die ein altes verwaschenes T-Shirt hing, saß nach vorn gebeugt an einem einfachen Tisch vor einer großen grünen Wassermelone, schnitt Stück für Stück ab und schob hastig große Stücke des blass roten Fruchtfleisches in den Mund. Die Melone war groß, so drei Kilo schwer, der junge Mann stand dem in nichts nach, ca. 1,90 m groß und gut 150 kg schwer. Die Frage, ob ich mich setzen dürfe, bejahte er etwas zaghaft. Gesellschaft schien er nicht gewohnt zu sein, es schien, als würde ihm sichtlich unwohl, sein Blick hastete nun unruhig zwischen der Melone, seinem Messer und mir hin und her. Das war wohl keine gute Idee, warum ließ ich ihn nicht in Ruhe, ich hätte ja auch wieder gehen können, so tun als suche ich jemanden, oder mich an einen der anderen Tische setzen. Trieb mich eine perfide Neugier zu bleiben, wollte ich einfach einen „Dicken“ aus der Nähe betrachten oder tat er mir leid, wie er so alleine da saß, in diesem leeren, kahlen Raum?

Die Situation entspannte sich dann doch rasch, eine, zuerst etwas stockende, dann doch recht lebhafte Unterhaltung kam zustande. Ihm tat es offensichtlich gut in diesem Augenblick nicht mehr allein zu sein, er wirke von Minute zu Minute gelöster, er begann zu reden und erzählte seine Geschichte. Er erzählte sie ohne böse Worte, ruhig und mit sicherer, klarer Stimme.
Sein Leben stand von Geburt an unter einem schlechten Omen. Armut, häufige Erkrankungen der Mutter, von der er sehr liebevoll sprach und unzählige menschliche Enttäuschungen begleiteten ihn stets sehr verlässlich. Freundliche Menschen begegneten ihm selten, Spott und Hohn waren eher zu hören auch Ablehnung und Hass lernte er früh in seinem Leben kennen. Die Gründe dafür waren nichtig, denn Menschen brauchen keine gewichtigen Gründe, um so etwas anderen anzutun. Die psychischen Leiden der Mutter, ihre Dickleibigkeit, sie aß viel zu viel, was sollte sie sonst tun, zu mehr reichte ihre psychische Kraft nicht aus, setzten sie diesen Anfeindungen aus, glaube er heute. Er das Kind, überfordert, tat ihr gleich, was sollte er sonst tun, sie war ja alles, was er hatte, Orientierung und Vorbild.

Sie lebten dann viele Jahre mehr schlecht wie recht für sich alleine, es war besser so, meinte er, da waren die Verletzungen nicht so häufig. Nur das Resultat für ihn war nicht gut, kein Schulabschluss, in Folge nur Gelegenheitsarbeiten, bei denen er nicht selten seinen Lohn nicht ganz, oder gar nicht bekam. Er verstehe das ja manches Mal sogar, seine Leistungen seien nicht immer gut, er strenge sich ja an, aber sein Gewicht mache es ihm nicht leicht.
Oft habe er versucht abzunehmen, es fehle ihm aber das Geld, gute Nahrungsmittel kosten viel Geld, das sie nicht hätten und sie müssten ja beide doch etwas essen. Diese Woche verfügten sie noch über fünf Euro, das reicht für fünf Pack Nudeln, ein paar Fertigsoßen und vielleicht, wenn er günstig ist, einen Salat, der wäre aber dann für Sonntag. Doch da müsse er zuerst schauen, ob sie noch Essig und Öl hätten.
Die Melone, die er heute esse, habe er von einem Obsthändler geschenkt bekommen, nachdem sie diesem auf den Gehsteig gefallen und geplatzt war. Ein Glückstag, eine Melone hätte er noch nie gegessen. Er lächelte glücklich, stand auf und sagte mir er müsse jetzt gehen, er hätte heute noch einen Termin beim Jobcenter. Den zu verpassen wäre eine Katastrophe, die würden ihnen ohne viel Aufhebens ihre Harz 4 Leistungen kürzen und das täte weh.

Eine kleine, aber wahre Geschichte, geschehen in einem der reichsten Länder dieser Erde.

Klaus Schneider August 2017