Zeitenwende

 

Nach dem katastrophalen Weltkrieg, der die Menschheit mit einer nie gekannten Brutalität erschütterte, begann 1945 eine markante Zeitenwende. Sie brachte eine Phase des Aufschwungs und der positiven Entwicklung in ethischen, sozialen, politischen und finanziellen Bereichen. Die Welt erlebte eine kontinuierliche Verbesserung des Lebensstandards, begleitet von großen Fortschritten in Wissenschaft und Technik. Diese Fortschritte halfen, viele Krisen zu überwinden, und die Lösungen, die gefunden wurden, schienen für die Mehrheit der Menschen befriedigend oder zumindest erträglich.

Doch mit der Zeit schlich sich eine gewisse Behaglichkeit ein – eine Behaglichkeit, die sich zunehmend in eine gefährliche Selbstzufriedenheit verwandelte. Diese Selbstzufriedenheit führte zu einer destruktiven Ignoranz gegenüber den Warnungen von Visionären und Mahnern. Jegliche Störung des scheinbar perfekten Fortschritts wurde als lästig und übelwollend abgetan. Statt einer konstruktiven Weiterentwicklung erlebte die Gesellschaft eine ideelle Regression – die zunehmende Fixierung auf den kurzfristigen Nutzen von Wissenschaft und Technologie, ohne die langfristigen Folgen zu hinterfragen.

Der technologische Fortschritt ermöglichte eine nahezu unbegrenzte Kommunikation und einen enormen Wohlstand, doch dieser Wohlstand wurde oft auf Kosten von Überproduktion, Ressourcenverschwendung und geopolitischem Machtmissbrauch erkauft. Da die Mehrheit der Menschen die Zeichen des Wandels ignorierte, fand Kritik an diesen Entwicklungen kaum einen Widerhall. Mahner und kritische Stimmen wurden von den Profiteuren des Systems entweder ignoriert oder diffamiert. Wenn sie doch manches Mal über Gebühr Aufmerksamkeit erregten, wurden sie unter hämischem Beifall einer opportunen Mehrheit, von der Macht des Systems, diskreditiert und sollten sie gar nicht verstummen, ans Kreuz genagelt.

Es ist ein bekanntes Phänomen: Jede Kultur oder Gesellschaft, die an ihrem Höhepunkt steht, verliert früher oder später ihre Fähigkeit zur Selbstreflexion und zur Anpassung an neue Realitäten. Was in der Vergangenheit Jahrhunderte dauerte, geschieht in der Neuzeit bedeutend schneller. Während Hochkulturen oder Machtzentren in früheren Zeiten noch relativ lange Zeiträume Bestand hatten, ist festzustellen, dass in der Neuzeit, mit wenigen Ausnahmen, die Zeiträume imperialer Hegemonie einzelner Kulturen bzw. Staaten, eine recht kurze Überlebensdauer aufweisen. Eine der treibenden Kräfte hinter dieser Veränderung ist die Flut von Informationen. Einerseits destabilisiert sie schon aus der Zeitgefallene Ideologien, andererseits hindert die unübersehbare Flut von divergierenden Meinungen die Menschen daran, neue und stabile Einsichten zu entwickeln.

Sich hier zurechtzufinden, wäre schon für einen regen, progressiven Geist eine recht anspruchsvolle Aufgabe, doch solange die geistige Ambition der Menschen sich analog zu populistischen Phrasen verhält, ignorante Mehrheiten ganze Staaten und Kulturen in Geiselhaft halten, der Ruf nach einer Abkehr von der Demokratie von einigen Dummköpfen so laut erschallt, dass er die Vernunft vieler zum Wanken bringt, ist das kaum zu erwarten. Das im Moment schon latent instabile Gefüge der Demokratien dieser Welt wird sich gänzlich zu einer unkontrollierbaren Schieflage neigen. Die Folge ist in einigen Staaten bereits drastisch zu sehen. Es werden persönliche Freiheiten bis zur Unkenntlichkeit eingeschränkt, ebenso die Informations- und Pressefreiheit, die Meinungsäußerung, liegt sie außerhalb einer offiziellen Doktrin, wird mit Sanktionen geahndet, die bis zum Entzug der Freiheit oder gar der Todesstrafe reichen. Repressionen aller Art sind Tür und Tor geöffnet, es existiert kein Verfassungsrecht, kein allgemein verbindliches Recht mehr. Recht und Gesetz ist, was ein Autokrat, oder wie manche schlichte Geister glauben wollen, ein starker Mann, für Recht hält. Das Recht eines Autokraten und seiner Günstlinge, ist eine Missgeburt aus eigennützigen Interessen, Machtgier und Gewinnsucht und nicht das Wohlbefinden der Nation, der Bürger, der Gesellschaft steht im Fokus ihrer Sinne.

So ist zu bemerken, dass zurzeit sich populistische, autokratische bzw. demokratiefeindliche Tendenzen in der Gesellschaft im Aufwind befinden. Das heißt, es besteht in einem gewissen Teil der Menschheit die Neigung, all das, was die gegenwärtige Wirtschaftsund Kulturleistung, die Freiheit kontrovers zum politischen, wie gesellschaftlichen Mainstream zu denken und dies zu kommunizieren, ermöglichte, zu Gunsten wirrer, destruktiver Ideologien aufs Spiel zu setzen. Die Gründe scheinen vielfach zu sein, doch primär ist zu vermuten, dass evolutionsgeschichtlich angelegte Überlebensmechanismen, primär jene der Angst, in diesem Wirbel stetiger Neuerungen die Kontrolle über alles das zu verlieren, was der eigene geistige Entwicklungsstand nicht mehr erfassen kann, was den ideellen Verlust der Bedeutung des eigenen Wertes nach sich zieht. Die real existierende Umwelt, die sich nur in geringen Teilen in ein tradiertes Weltbild einfügt, die den Bereich der mittelbaren Existenz, bis zur Unkenntlichkeit fremd werden lässt, er wird als feindlich empfunden. Aufgrund dieser misslichen Lage wollen sich Menschen eine begreifbare Umwelt, über den Regress auf Althergebrachtes, um, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Denkstrukturen, Verständliches, Lösbares schaffen und sei es in der geschichtlichen Bewertung noch so zweifelhaft. Es ist zu befürchten, dass mit zunehmend progressiver Entwicklung der Lebensbedingungen von Gesellschaften, die Anzahl derjenigen zunehmen wird, die die Zuflucht im Rückgriff auf schlichte Ideologien und Ansichten suchen.

Wenn es nicht gelingen sollte, diesen Personenkreis in den Lauf und die Erfordernisse der Zeit einzubinden, werden diese eine Zeitenwende, eine Wende rückwärts erzwingen. Die ewig Gestrigen, die Kaiser, König und Führer nach Jammern,  hat es immer gegeben und sie wird es weiter geben. Sie stellten früher Mehrheiten und sie sind auch in der Gegenwart dazu in der Lage. Sie denken weniger komplex, argumentieren laut und einfach, sie werden gehört und von ihresgleichen und der Masse derjenigen, welche sich aktuell in ihrer Gesellschaft nicht mehr zurechtfinden, verstanden. Auch verifizierte, essenzielle Fakten sind dann bedeutungslos, wenn sie nicht begriffen werden oder begriffen werden wollen. Es ist eine erschreckende Vorstellung, dass sich das Niveau unserer sozialen, kulturellen und ethischen Errungenschaften so weit reduziert, dass es von jedem, noch so schwachem Geist, verstanden wird.

Klaus Schneider November 2024

Freiheit, die ich meine

Unter Freiheit verstanden die Menschen bis vor nicht allzu langer Zeit die Freiheit vor staatlicher Bevormundung, Einschränkung oder Repression. Das völlige Fehlen persönlicher Rechte, das Fehlen elementarer Menschenrechte und Würde waren die sicht- und spürbaren Auswirkungen von Unfreiheit und Unterdrückung.
Freiheit ist etwas das genutzt wird wie die Luft zum Atmen und so wird sie auch beachtet. Erst die Beeinträchtigung der Qualität, dann in Konsequenz das völlige Fehlen, würde die existenzielle Bedeutung elementarster Bedürfnisse auch dem einfältigsten Geist aufzeigen.
Freiheit ist die Atemluft eines aktiven Geistes, die Grundlage der Individualität, der Moral. Freiheit lässt den Menschen zum Menschen werden, sie gibt ihm seine Würde.
In einem demokratisch legitimierten Rechtsstaat sind Menschenrechte ein elementarer Bestandteil, ein Rechtsanspruch, etwas Substanzielles, Selbstverständliches. So selbstverständlich, dass diesen Rechten kaum noch Beachtung zuteilwird, sie sind ja da, gar unveräußerlich sollen sie sein.
Nun hat die Freiheit aber ein existenzielles Problem, sie ist aus sich heraus nicht wehrhaft, sie ist durch ihr Spezifikum angreifbar. Ein prägnanter Mangel, der nur durch den aktiven Schutz, durch ein uneingeschränktes Bekenntnis zu ihren Prinzipien, zu kompensieren ist.
Freiheit muss jedem denkenden, seiner Würde bewussten Lebewesen, ein erstrebenswertes oder ein primär zu erhaltendes Gut sein.
Aktive Gegner finden sich zuhauf ein. Die zwielichtigen Eiferer aus Politik und Verwaltung, die vorgaukeln, Sicherheit durch restriktive Überwachung und Kontrolle, durch die Einschränkung von Grundrechten, von Freiheiten, schützen zu wollen oder gar zu können. Gewissenlose Populisten, Brandstifter aus der Grauzone politischer Ideologien, die ihrer einfältigen Anhängerschaft, die freie Presse, die freie Berichterstattung als Lügenpresse, als Volksfeinde darstellen. Dümmer als solche Parolen sind nur noch die Hohlköpfe, welche diesen perfiden Schwachsinn stumpfsinnig grölend auf den Straßen in die Öffentlichkeit tragen. Dann wären noch die Politiker und ihre Handlanger, die politische Beamtenschaft, die Urteile der dritten Gewalt, des unabhängigen Rechtssystems einer rechtsstaatlichen Demokratie, infrage stellen, sie sogar ignorieren. Ignoriert von Personen, die allesamt einmal einen Treueeid auf diese Verfassung schworen. Kreaturen, die so jeden Anstand und Charakter vermissen lassen. Leider keine Ausnahme in der politischen Historie. Hitlers Beamte und Verwaltungsfachleute fanden sich ohne große zeitliche Verzögerung in der Bonner Republik wundersam integriert wieder. Warum sollte ein Paradigmenwechsel mit umgekehrten Vorzeichen moralische Probleme bereiten?
Ließe man all diese Totengräber gewähren, wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis es nichts mehr zu schützen gäbe. Keine Demokratie, kein Rechtsstaat und analog keine Freiheit.
Es ist aber leider zu befürchten, dass dies einen Großteil der Bürger recht wenig interessiert, solange ihr behagliches Leben keine Beeinträchtigung erfährt. Ideelle Freiheit ist ein abstrakter Wert, das monatliche Gehalt, ein möglichst luxuriöses Dach über dem Kopf und ein Übermaß an Nahrungs- und Genussmittel stellt schon einen handfesteren Wert dar. Scheiß auf die Freiheit!

Klaus Schneider August 2018

 

 

Warum Brexit, warum Trump und bitte nicht auch noch Frankreich

 

Bis dato alles legitime, demokratische Entscheidungen. Ob diese nun in das innen- wie außenpolitische Kalkül europäischer Visionen passt oder nicht, ist letztendlich den Grundsätzen demokratischer Entscheidungsfindung unterzuordnen, ohne Wenn und Aber. Nicht das Wahlvolk trägt die ausschließliche Verantwortung für sein Votum, die Verantwortung trägt das politische Establishment, dem die Kommunikation mit den Menschen zunehmend lästig zu sein scheint. Diese politische Clique, intriganter Opportunisten, werden auch kaum in der Lage sein, die Winkelzüge ihrer wirtschafts- und kapitalorientierten Klientelpolitik so darzustellen, dass sie auf breite Zustimmung stoßen würde.
Eine sozial unverträgliche Politik wird aber letzten Endes, sollen auch noch ein paar Wahlperioden vergehen, die kontinuierlich wachsende Zahl der Verlierer solch kurzsichtiger Kumpanei, in die Arme populistischer Eierdiebe treiben.
Doch wer will es diesen Menschen verdenken, sie verfolgen nur ein berechtigtes Eigeninteresse und wollen lediglich von dem sichtbaren Wohlstand der Anderen etwas abhaben. Die Gesellschaft wird sich dann damit trösten müssen, dass sich diese Menschen mit demokratisch legetimen Mittel wehren und nicht mit Anarchie. Nur die Konsequenz könnte sich ebenso bitter auswirken, nicht nur national, denn schuldig an einer Misere sind zu allererst immer die Anderen, sondiert von außen nach innen.

Klaus Schneider Mai 2017

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