Alle andere Dinge müssen; der Mensch ist das Wesen, welches will. Eben deswegen ist des Menschen nichts so unwürdig, als Gewalt zu erleiden, denn Gewalt hebt ihn auf.
Quelle Friedrich von Schiller (1759 – 1805, deutscher Arzt, Dichter, Philosoph und Historiker, Theoretische Schriften. Vom Erhabenen, 1793
Gewalt zeigt sich in vielfacher Art und Gestalt, offensichtlicher und schrecklicher, in denen sie leicht zu erkennen, zu beurteilen und zu verurteilen ist. „Gewalt“ bezeichnet jedoch jeden physischen oder physischen Zwang gegenüber Menschen, je nach ethischer Einstellung, auch gegenüber allen Lebewesen. Neben der sichtbaren, der anzuschauenden Gewalt, nimmt die weniger offensichtliche, die psychische Repression, einen immer gewichtigeren Platz ein. Sie offenbart sich nicht, in schrecklicher, bildhafter Darstellung, doch auch sie verletzt Menschen, fügt ihnen schwere seelische Schäden zu, die deren Existenz psychisch und in Folge auch physisch, infrage stellen und letztendlich auslöschen können.
Während in anderen Teilen der Welt die offensichtliche Gewalt augenscheinlich dominiert, die körperliche Existenz der Menschen, für die Urheber der Gewalt, ohne Wert zu sein scheint, ist die, in den westlichen Industrienationen dominierende, psychische Gewalt weniger offensichtlich. Doch richtet gerade dieser Umstand mindestens so viel Unheil an, wie die schrecklich anzusehenden Kriege und Gewalttaten anderer Staaten. Diese subtile Form der Gewalt ist in der Lage, langfristig ganze Gesellschaften, besonders die, offener, pluraler Art, durch die unmerkliche Destabilisierung, schwacher sozialer Gruppen, zu untergraben. Psychische Gewalt ist nicht offensichtlich, sie verstümmelt keine sichtbaren Körperteile, jedoch schädigt sie folgenschwer die Psyche, das Wesen der Opfer. Opfer samt ihren Peinigern verschwinden zwar rasch in der alles relativierenden Anonymität der Zeit aus der kollektiven Erinnerung, doch die Spuren, die nachhaltige ethische Schädigung der Gesellschaft durch die stillschweigende Akzeptanz von psychischer Gewalt, ist der Anfang ihres Niedergangs. Akzeptanz eines Unrechts zieht immer eine Steigerung dieses nach sich.
Doch ist lediglich eine leidliche Anteilnahme, verweigerte Hilfe oder Therapie für die Opfer, selten eine prägnante Sanktion für die Täter, wahrzunehmen. Warum auch mehr, sichtbar, ist doch nur ein äußerlich unversehrtes Opfer, wenn es überhaupt Beachtung findet, und ein selten finster oder kriminell wirkender Täter zu sehen. Geschweige denn, die Beachtung einer weiteren Problematik, die, jener biederen Täterprofilen, die gar in hoheitlichem Auftrag, unter der schützenden Hand von Gesetzen und Verordnungen agieren, jedoch diese, bis zur Unkenntlichkeit deren Sinn und Absicht, zum Nachteil Betroffener, Antragsteller, Hilfsbedürftiger, aus niedersten Instinkten auslegen oder ignorieren. Dieser Bereich, ein Inferno psychischer Gewalt, wird erst gar nicht erfasst, er wird vom Gesetzgeber weitgehend als hinnehmbarer Kollateralschaden einer „rechtsstaatlich orientierten“ Verwaltung ignoriert.
Anschauungen von Gewalt, ob nun im mittelbaren oder unmittelbaren Blickfeld des Betrachters, taugen nach einer gewissen Zeit angemessener Entrüstung, lediglich noch zur Unterhaltung und Zerstreuung. Mit längerer Dauer und abnehmender medialer Präsentation verblasst die Erinnerung daran recht bald, sodass sich die Täter, in ihrem Tun nur temporär mittelbar gestört von moralischen Einwänden, ihren Taten und Opfern widmen können.
Das mag alles im Wesen des Menschen, in seiner umfassenden Überlebensstrategie determiniert sein und nüchtern betrachtet, sich einer moralischen Wertung weitgehendst entziehen, doch entspricht es dem eigenen Anspruch oder gar dem normativen Charakterbild des aktuellen Selbstverständnisses der Menschen, das der Würde, wenigstens der eigenen, eine hohe Priorität zubilligt, sie gar als Artikel 1 des Grundgesetzes postuliert? – Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt -. Es gibt wahrscheinlich keinen Artikel des Grundgesetzes, gegen den öfter bewusst und willentlich verstoßen wird, eingeschlossen der Verstöße staatlicher Institutionen. Es existieren in einer ethisch, moralisch integren Gesellschaft, keine plausiblen Gründe, die Gewalt, jeglicher Form, rechtfertigen würden.
Gewalt, auch in geringer Form, verletzt die Würde des Menschen, zersetzt die Achtung vor sich selbst und letztendlich kann sie die Würde so gänzlich eliminieren, dass der Mensch daran zugrunde geht.
Klaus Schneider im August 2023