Postmoderne Sklaverei des Staates

Die blühenden Reiche der Vorantike, der Antike wie Ägypten, Griechenland oder das römische Reich und in der jüngeren Geschichte die europäischen Kolonialmächte, festigten ihren wirtschaftlichen Erfolg durch den Einsatz von Sklaven. Menschen, die ohne nennenswerte Entlohnung und Individualrechte zur Arbeit gezwungen wurden. Ohne den Einsatz dieser Sklaven wäre keines dieser Reiche oder Kolonialmächte aus eigener Kraft, das heißt mit und durch die Arbeitskraft ihrer Bürger, imstande gewesen, die erforderlichen Leistungen zum Erhalt, Sicherung und zu wirtschaftlicher Blüte zu erbringen.

Nach ein paar Jahrtausenden dieser Praxis atmete das partikular agierende, moralische Gewissen der Welt auf, nachdem auch 1865 in den USA die Sklaverei per Verfassung, pro forma verboten wurde. Ein kollektiver Wachtraum der Menschheit vernebelt seither die Realität der Zustände von Menschen, denen jedes grundlegende Recht auf dieser Erde verweigert wird. Das Kollektivgewissen der Menschheit blendet die Missstände aus, da viele ja direkt oder indirekt von den Missständen profitieren, ohne den eine große Menge der heute angebotenen Waren nicht zur Verfügung stehen würde. Die miserabelsten Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit usw., wo Leid und Unterdrückung vorherrschen, werden ohne Scham in Kauf genommen, wenn die Gier mögliche, andere Handlungsoptionen gar nicht erst aufkommen lässt. Wie sollte sonst das maßlose Verlangen nach allem und jenem zu erschwinglichen Preisen befriedigt werden, wie die Wirtschaft, kultureller und technischer Fortschritt erhalten, geschweige denn forciert werden ohne die Zuhilfenahme von kostengünstiger menschlicher Arbeitskraft? Gründeten nicht auf demselben Prinzip die Reiche und Staaten des Altertums und die Europas?

Dem Menschen seine Individualrechte vorzuhalten, ihn als Arbeitskraft  auszubeuten, scheint ein probates, unverzichtbares Mittel für wirtschaftlichen Erfolg von Staaten zu sein. Daran hat sich bis heute nichts geändert, außer, dass in den meisten Industriestaaten die Vorgehensweise etwas subtiler dargeboten wird. Das deutsche Modell funktioniert wie folgt:
Der erwerbslose deutsche Bürger wird per se und pauschal als faul, Drückeberger und mit einem inhärenten Drang zum Sozialbetrug diskreditiert. Adäquate Mittel zum Ausmerzen solchen asozialen Verhaltens, nach Ansicht der politischen Mitte und ihrer Klientel, sind Sanktionen (Strafen) für kleinste Vergehen im Sinne der Sanktions- und Mangelverwaltungsbürokratie, wie die gerne angewandte Kürzung der Leistungen. Leistungen, die ohnehin lediglich das Nötigste zum Überleben enthalten, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist darin nicht vorgesehen und wird nicht finanziert.
So zieht eine Kürzung der Leistungen, einen teilweisen Entzug der Lebensgrundlagen nach sich, mit der Folge, dass wenn Lebensmittel nicht mehr finanzierbar sind, werden die Menschen hungern, oder sich mangelhaft ernähren. Beides kann ohne Polemik als körperliche Strafte bezeichnet werden. Des Weiteren führt bei ohnehin schon trister Wohnqualität, nun noch bei nicht mehr zahlbarer Miete, die Angst vor Obdachlosigkeit und zwangsweise weiterer sozialer Isolation zu einer unverhältnismäßigen, psychischen Belastung. Sollten zudem noch Kinder involviert sein, findet eine Weichenstellung statt, die ihr weiteres Leben mit hoher Wahrscheinlichkeit negativ beeinflusst und in eine Spirale von Armut führt, aus der es mit legalen Mitteln kaum ein Entrinnen gibt. Eine veritable, moralische Bankrotterklärung der Gesellschaft eines Staates in bester wirtschaftlicher Lage.
Sollten sich die Betroffenen in Folge dieser Maßnahmen nicht an geltende Gesetze halten, sich widerrechtlich besorgen, was ihren verwehrt wird, ihren Lebensfrust mit Betrug, Diebstahl und Gewaltakten ausleben, dann wird dies der Rechtsstaat konsequent und mit aller Härte sanktionieren. Diese, jeder Vernunft, jedem moralischen Gewissen und auch dem Grundgesetz widersprechenden und ethisch fragwürdigen Nebenwirkung solcher Sanktionspolitik, scheinen allerdings den politischen Populisten wie Merz und Co. keine Bedenken wert zu sein. Warum auch, wenn eine marode, morbide Moral die Denkprozesse bestimmt, kann nur gleichwertiges entstehen.

Des Weiteren ist doch der Sinn, bzw. Hintergrund solcher politischen Positionen mit ihrer Kernaussage: Erwerbslose sollen durch Anreize in den Arbeitsprozess wieder eingegliedert werden, zu hinterfragen?
Das bedeutet zuerst einmal, sie sollen durch eine marginale Unterstützung, was Hunger, Stigmatisierung und anhängige soziale Ausgrenzung, Strafen mit psychischen, und körperliche Folgen nach sich ziehen, dem Erwerbsleben zugeführt werden. Diese Begründung zeigt eine schamlose, zynische und auch widerrechtliche Klügelei wirtschaftsgläubiger und finanzabhängiger, politisch am rechten Rand angesiedelten Parteien, mit ihrer Klientel auf.
Es stellt sich hier noch eine weitere Frage, die, in welchen Arbeitsprozess Erwerbslose eingegliedert werden sollen? Bestimmt nicht in den, wo genügend Lohn für eine autarke Existenz in dieser Gesellschaft bezahlt wird, sondern vielmehr in den, der von dem sogenannten Lumpenproletariat, Menschen ohne Ausbildung, mit allerlei, von Natur aus gegebenen Einschränkungen und ohne Perspektive auf Besserung ihrer Lage, bedient wird. Arbeitskräfte, die, um zu überleben, alles, was ihnen zugemutet wird, tun müssen, ohne Aussicht auf eine existenzsichernden Bezahlung und sozialer Anerkennung hoffen zu können.
Jedoch scheint gerade dieses Potenzial an verfügbaren, billigen Lohnsklaven ein unentbehrlicher Faktor betriebswirtschaftlicher Überlegungen darzustellen. Denn liegt nicht das größte Interesse der Marktwirtschaft in der Steigerung der Effizienz der Produktion, das heißt minimale Kosten, maximaler Ertrag. Das ist im Besonderen im Sektor der Lohnkosten zu erreichen. Mindestlöhne, Lohndumping als Ausgleich zu kostenintensiven Tariflöhnen, ist daher das Credo wirtschaftlicher Kalkulation von Firmen. Doch ausreichend billige Arbeitskräfte zu rekrutieren ist natürlich nur problemlos möglich, wenn sozialstaatliche Unterstützung, weit unter dem Niveau des Mindestlohns liegt. Nun ist aber schon das Niveau des Mindestlohns ein Einkommen am unteren Limit der Existenzsicherung, daher auch die Bezeichnung Mindestlohn.  Per se, ist doch alles, was darunter liegt, nicht existenzsichernd, es dient lediglich zum nackten Überleben und das in einem der reichsten Staaten dieser Erde. In diesem Sinne sind marginale Grundsicherungen und Sanktionierungen keine Notwendigkeiten einer gerechten Sozialgesetzgebung, sondern nur ein probates Mittel, Erwerbslose in schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse zu zwingen. Damit stellt der Staat der Wirtschaft billige Arbeitskräfte zur Verfügung, und hält Erwerbstätige, die bereits in solchen arbeiten, von Forderungen nach gerechter, existenzsichernder Bezahlung ab, denn es könnte ja noch schlimmer kommen.

So, definiert sich moderne Sklavenhaltung im 21. Jahrhundert, da Arbeitshäuser und die Zwangs-Lagerhaltung von billigen Lohnsklaven, rekrutiert aus dem Unterbau, den Verlierern einer jeden Gesellschaft, aus Gründen rechtsstaatlichen Normen und ratifizierter Menschenrechtskonventionen nicht mehr offen praktizierbar ist. Das beschämende Fazit zum Schluss: Diese unmenschliche, als ausgemerzt geglaubte Praxis von Unterdrückung und Zwangsarbeit von schutz- und rechtlosen Minoritäten wird von einem großen Teil der Bevölkerung stillschweigend akzeptiert und positiv beschieden, von einigen gar frenetisch unterstützt. Was bleibt, ist Ekel, Wut und Verzweiflung bei der Erkenntnis, dass sich nichts an den Denkstrukturen und der Moral der Menschen geändert hat und wohl auch in Zukunft nichts ändern wird.

Menschenwürde im Wandel

 

Der Stellenwert der Würde des Menschen lässt sich am Besten an den Schwächsten der Gesellschaft beurteilen. An denen, die nicht den Schutz einer starken Lobby genießen, die nicht auf einer Woge gesellschaftlichen Wohlwollens treiben, sondern an denen, die im gesellschaftlichen Abseits ihre ideelle Existenz fristen. Diese materiell besitzlosen Kreaturen, wertlos für den Konsumklimaindex, sachlich bewertet, volkswirtschaftliche Minusposten, stellen den Gradmesser für den realen Stand der Menschenwürde in einer Gesellschaft. Eine Ergänzung der etablierten „Schwarzen Schafe“, der Homosexuellen, der anders Gläubigen, Denkenden und Handelnden, aller Normabweichlern, die sich nicht im Besitz geldwerten oder liquiden Vermögens, der Volkswirtschaft nützlicher Vorzüge befinden.

So forderte ein Verfassungsrechtler 2003 in einem Kommentar die Adaption des absoluten Begriffs der Menschenwürde an eine sogenannte abgestufte Menschenwürde, für deren Bewertung lediglich die Verankerung im Verfassungstext und die Auslegung der Menschenwürde als Begriff des positiven Rechts maßgebend sein soll. Diese Sichtweise reduziert nicht nur die Würde substanziell, sondern unterstellt den Menschen, als natürliches Subjekt, unter die Erfordernisse der Gesellschaft und ihres aktuellen, instabilen positiven Rechts. Es unterwirft ein unveräußerliches Menschenrecht oder Naturrecht den temporären Erfordernissen wissenschaftlicher Erkenntnisse und sozialpolitischer Tendenzen und deren aktuellen, ethischen Deutungen. Ein arrogant, gefährlicher Angriff auf ein Axiom eines menschlichen Grundbedürfnisses. Ein in diesem Sinn grundlegender Paradigmenwechsel würde den, sowieso nur marginal vorhandenen inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft, auf der Basis von Humanität und des Gleichheitsprinzips aller Menschen, irreversibel zerstören. Die Gesellschaft als Ganzes, als Ideal, könnte sich faktisch auflösen, wenn sich der Grad der zugestandenen Würde an gesellschaftlichem Nutzen festmachen würde, die dem Menschen erst die Teilhabe an seinem existenziell begründeten Recht auf Würde zuteilte.

Die Beständigkeit des übergeordneten Anspruchs auf Schutz, der allein im Menschsein inhärenten Würde, liegt in den Händen, oder dem Wohlwollen von Personen, die sich aufgrund ihrer Stellung in Staat und Gesellschaft, kaum Sorge um ihr Anrecht auf diese Würde machen müssen. Den willigen Opportunisten, den Einfaltspinsel aus der Mitte der Gesellschaft, fehlt der intellektuelle Hintergrund, das geistige Vermögen, die Risiken zu bewerten, denen auch sie durch die perfide Manipulation an diesem Grundrecht ausgesetzt sind. Das zeigt sich allein schon an der gesellschaftlich hoffähigen Stigmatisierung der Empfänger staatlicher Fürsorge, diese, zur Erinnerung, kein Almosen sondern ein rechtlicher Anspruch darstellt. Die Mehrheit der Menschen heutiger Gesellschaften bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen der Teilhabe an einem ungezügelten Konsum der vorhandenen Wirtschaftsgüter und dem Ausschluss an diesem Vorzug infolge persönlicher, wirtschaftlicher Schieflage, die jeden jederzeit treffen kann. Mit dieser Erkenntnis, die nicht allzu viel Intellekt erfordert, vorausgesetzt man lehnt diese nicht prinzipiell aus Feigheit vor der Realität ab, sollte schon aus Vorsorge um die eigene Person, der Würde wirtschaftlich schwacher, oder sozial ausgegrenzter Gesellschaftsschichten, einen unantastbaren Stellenwert garantieren.

Warum ist aber kein Aufschrei zu hören, keine Empörung zu vernehmen über die gängige Praxis, den Beziehern von Leistungen nach Sozialgesetzbuch, bei fehlender Mitwirkung, die Leistung bis zu 20% zu kürzen. Eine Strafe, die nicht mehr und nicht weniger eine körperliche Bestrafung darstellt. Diesen Menschen wird der Zugang zu ausreichender Nahrung verweigert, denn diese Menschen beziehen lediglich ein Existenzminimum, ohne finanziellen Puffer. Von der Würdelosigkeit solcher Strafmaßnahmen ganz zu schweigen, überschreitet hier die Exekutive ihre Kompetenzen, in Bezug auf den Rechtsanspruch Menschenwürde, bei weitem. Auch der Verweis auf die Schuldfrage ist kein haltbares Argument. Schuld sollte in einem Rechtsstaat, bei solch einer eklatanten Bestrafung, unzweifelsfrei nachgewiesen und nicht nur in einem Verwaltungsakt festgelegt werden, vor allem dann, wenn dieser Verwaltungsakt Grundrechte in solchem Maße verletzt.

Wird das Grundrecht auf die Würde des Menschen weiter ausgedünnt und findet dies auch noch die Rechtfertigung durch gesellschaftliche Akzeptanz, so öffnet sich die „Büchse der Pandora“, ein ideologisches Unheil, ein Selbstläufer wird die Gesellschaft, den Staat infiltrieren und dieser Vorgang ist nicht mehr ohne die Zerstörung von Gesellschaftsstrukturen zu stoppen.

Verlieren wird die ganze Gesellschaft, wie immer werden einige wenige auch davon profitieren, die Mehrheit wird viel verlieren, zu viel.

Klaus Schneider Oktober 2018