Der Abstieg Europas
Der europäische Imperialismus endet in der Katastrophe zweier Weltkriege und dem Zerfall als globale Macht.
Entscheidend zur Destabilisierung des Kontinents trugen die Verän-derungen in seiner Mitte bei. Deutschland, dieser aus 36 souveränen Einzelstaaten bestehende Staatenbund, in den vergangenen Jahrhunderten kein erstzunehmender machtpolitischer Faktor in Europa, fand, nicht durch den Willen des Volkes, sondern durch machtpolitische Interessen Preußens, 1871 zu einer Einheit. Die politische Instabilität, als Folge der Reorganisation totalitärer Machtstrukturen in Europa, kam denen Staaten zugute, deren politisches Kalkül sich nicht auf kurzfristige Positionierung beschränkte oder durch die Umstände beschränkt wurde. Auf dem Kontinent war dies Preußen, das zielstrebig seine Position ausweitete, keine Konflikte und militärische Auseinandersetzungen scheute, wenn diese sich als risikowürdig, bezogen auf die Zielsetzung, erwiesen. Mit Erfolg. Nach der Niederlage des internen Konkurrenten Österreich um die Macht in der Familie ,stand nach der Niederlage Frankreichs 1871 der Gründung des Deutschen Reiches unter der Führung Preußens nichts mehr im Wege. Ein politisches, wirtschaftliches und militärisches Schwergewicht besetzte nun, vor allem auf Kosten Frankreichs, die Mitte Europas. Als Zukunft fähiges, wirtschaftlich und militärisch potentes Gegengewicht existierte lediglich noch England.
Mit der deutschen Einigung von 1871 entstand ein Wirtschaftsraum von erheblicher Bedeutung. Um 1900 war Deutschland auf dem Kontinent die führende Industriemacht. England, die globale führende wirtschaftliche und imperiale Macht, sah die „balance of power“ auf dem Kontinent bedroht, der Ursprung der deutsch-britischen Rivalität. Wechselnde Bündnisse der europäischen Mächte und diplomatische Winkelzüge sollten in der Folgezeit bis zum 1. Weltkrieg diese Balance sichern. Den Burgfrieden sicherte jedoch weit mehr eine wirtschaftlich fundierte Weltpolitik, in die das Deutsche Reich auf vielseitige Weise eingebunden war. Der europäische Imperialismus stand in seiner höchsten Blüte, seine Profiteure vertrugen sich, weniger aus Zuneigung, mehr aus pragmatischer Einsicht. Der Versuch scheiterte, als ein immenser Einbruch dem Globalisierungsschub ein Ende bereitete und die politischen Empfindlichkeiten, mangels gemeinsamen Interessen, wieder zusehends kollidierten. Die Staaten Europas besannen sich wieder auf die Machenschaften, wo ihre Stärken lagen, sie räumten ihrem bornierten Nationaldünkel einen „Platz an der Sonne“ ein. Der Fokus richtete sich in inniger Neigung wieder auf die Vorherrschaft in Europa.
Den Katastrophen des 20. Jahrhunderts standen nun Tür und Tor offen. Die populäre Vorstellung nationaler Herrlichkeiten, die Inszenierung nationaler Größe wirkte belebend auf die Menschen Europas. Ein Bypass, der geschickt eingesetzt, die Empfindlichkeiten und Verun-sicherungen der rasanten Um- widmung und Veränderung etablierter Werte ableiten und nutzbringend auffangen konnte. Die Machthaber Europas bedienten, einmal mehr, einmal weniger, sich dieser Offerte des einfach strukturierten, stumpfen Volksempfindens. Die Ritualisierung nationaler Größe wurde bis zur blamablen Lächerlichkeit inszeniert. Mit der Perfektionierung dieser Unsitte setzte sich besonders Deutschland ein Denkmal für die Ewigkeit. Vernunft, Verstand, Moral, Menschlichkeit waren hinderlich, sie lösten sich bald im großen völkischen Topf der Dummheit auf. Des Volkes Wille, so dachten die naiven Massen, sei nun die Legimitation für neue Moralitäten. Die Dummköpfe, sie folgten lediglich einer vulgären Suggestion der Rattenfänger ihrer Zeit. Rattenfänger mit marginal visionärerem Weit- und Überblick und völlig entblößt von jeder humanen Qualität. Das Resultat verantwortungslosem Nationalismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts kann sich sehen lassen, in 31 Jahren waren 70 000 000 Tote (in Worten siebzig Millionen) für nationale und rassistische Entgleisungen der Gesellschaften zu beklagen.
Europa war zerstört, die Sieger, nach kurzem Siegestaumel von der unschönen Realität eines zerstörten Kontinents eingeholt, fanden sich in der Gemeinschaft desillusionierter, Sieger wie Verlierer wieder. 70 Millionen Tote, unbeschreibliches Leid, ein zerstörter Kontinent und der Verlust globaler Bedeutung. Der horrende Preis für nationalistische Arroganz und Dummheit: Zerstörung, Leid, Tod und die Reduktion menschlicher Würde bis zur Unkenntlichkeit. War das lehrreich genug um künftigen Generationen aufzuzeigen in welchen Ideologien die Lösungen für ein friedliches Europa zu suchen sind?
Klaus Schneider Februar 2017