Meinungsfreiheit auch bei widrigen Ansichten

 

Was taugt das Grundrecht der Meinungsfreiheit, wenn die Äußerung einer Meinung, die nicht dem aktuellen Gedankengut folgt, unter dem empörten Aufschrei schlichter Volksseelen, polemisch und unsachlich diskreditiert wird? Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, das über die Schmerzgrenze der Akzeptanz, der eigenen Meinung widersprechender Ansichten, reichen muss. Diese Akzeptanz darf erst da enden, wo offen die menschliche Würde oder das System des Rechtsstaates attackiert wird, welches, als die Voraussetzung dieser Meinungsfreiheit, nicht zur Disposition stehen darf. Alle Meinungen darunter verdienen den Respekt einer sachlichen, auch kontroversen Diskussion, sowie die Achtung der menschlichen Würde und geistigen Autonomie dessen, der sie äußert.

Dieses Prinzip, mit Blick auf eigene oder angenommene Befindlichkeiten Anderer in Frage zu stellen, stellt das Grundrecht der Meinungsfreiheit zur Disposition, damit aber auch den eigenen Rechtsanspruch, mit dem dieses Grundrecht in diesem Fall in Frage gestellt wird. So ist dieses Recht unteilbar und für eine offene Gesellschaft einer ihrer unverzichtbaren, existenziellen Werte.

Unter diesen Gesichtspunkten sind die anonymen, polemischen Kommentare in den sozialen Medien gegen die, der eigenen Ansicht widersprechenden Meinungen, an sich keiner Würdigung wert. Ein solches geistiges Niveau ist, ohne Schaden an der eigenen Reputation zu nehmen, nicht kommentierbar. Etwas diffiziler erweist sich dies bei einem offenen medialen Verriss unpopulärer Ansichten. Die Kritik einer Meinung, die öffentliches Interesse betrifft, ist an sich produktiv und sinnvoll, sofern sie nicht zum Ziel hat, eine, an und für sich sachlich bedingte Meinung, über die Herabwürdigung der Person, die sie äußerte, zu diffamieren. Das ist ein schäbiges Vorgehen, das mit keinem, noch so individuell berechtigten Anliegen, zu rechtfertigen ist.

Klaus Schneider Mai 2021