Über das Leiden

 

Nichts, ist im Leben bedingter als der Schmerz und das Leiden. Nur neigt der Mensch gerne dazu, dies in Zeiten der Sicherheit und des Wohlbefindens zu vergessen. Mit gutem Grund, denn das Leiden und der Schmerz achtet keine seiner Wertordnung, keine Befindlichkeiten und Ansprüche. Doch es gibt keine menschliche Lage, keinen Stand, die im Laufe ihrer Existenz gänzlich vom Schmerz und Leiden geschützt ist. Diese Tatsache wird in ruhigen Lebenslagen leicht übersehen, jedoch impliziert das Leben Schmerz und Leiden, in welcher Form auch immer und diesem müssen sich die Menschen stellen. Im Umgang mit Schmerz und Leid zeigt sich die Beschaffenheit eines menschlichen Charakters, denn in dem Maß, in dem sich Schmerz und Leid einstellen oder die Bedrohung ansteigt, wächst der Zweifel an der Verbindlichkeit menschlicher Werte. Denn wenn der Geist alles, was das unbeschwerte Leben auszeichnet, infrage gestellt sieht, zersetzt sich das Selbstverständnis von den Dingen, auch von sich selbst, und neigt dazu, alles infrage zu stellen. Visionen des Niedergangs, der Angst übernehmen die Hoheit über die Vernunft des Geistes. Der Mensch verliert den intimen Bezug zu seinem eigenen Leben, seiner Würde und seinem Selbst.

Doch kein Anspruch an das Leben ist sicherer als Leiden, Schmerz und am Ende der Tod. Wo dies zugunsten von Behaglichkeit, Genuss und Sicherheit, feige zurückgedrängt wird, bereitet sich eine, den wachen Geist zersetzende, dekadente Langeweile aus, und, weit schlimmer, das Leiden verlagert sich auf die Menschen, welche für die Sicherheit und Behaglichkeit einiger weniger, dann einen hohen Preis bezahlen müssen. Das Wesen dieser Sicherheit einiger, drückt sich hier darin aus, dass Leiden und Schmerz in die Peripherie der bedrohten, eigenen Existenz abgedrängt wird, diese missliche Last wird auf andere Lebewesen ausgelagert. Nur, wäre es ein fataler Fehler zu glauben, dass diese Art der Schmerzverlagerung von Dauer sein könnte, denn der existenzbedingten Nivellierung von Ungleichgewicht jeder Art, kann kein, noch so dominanter Verdrängungsmechanismus des Geistes, widerstehen. So ist zu befürchten, dass die heute geradezu manische Vermeidung von Schmerz und Leid, sich irgendwann in der Zeit bitter rächen wird. Dann, wenn der Vermeidungs- und Verdrängungsmechanismus in sich kollabiert und Schmerz und Leid in Übermaß auf Menschen trifft, die zu keinerlei, weder psychischen noch physischen Widerstandes, mehr fähig sind. Eine ständige Negation von Schmerz und Leid bedeutet eine Negation des natürlichen Lebens und schwächt einen jeden Charakter, er eignet sich in Folge nur noch bedingt für ein würdevolles Leben mit sich und seinen Schwächen.

  Klaus Schneider Februar 2022

Buchvorstellung: Menschliches zwischen Sein und Schein
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