Meinungsfreiheit auch bei widrigen Ansichten

 

Was taugt das Grundrecht der Meinungsfreiheit, wenn die Äußerung einer Meinung, die nicht dem aktuellen Gedankengut folgt, unter dem empörten Aufschrei schlichter Volksseelen, polemisch und unsachlich diskreditiert wird? Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, das über die Schmerzgrenze der Akzeptanz, der eigenen Meinung widersprechender Ansichten, reichen muss. Diese Akzeptanz darf erst da enden, wo offen die menschliche Würde oder das System des Rechtsstaates attackiert wird, welches, als die Voraussetzung dieser Meinungsfreiheit, nicht zur Disposition stehen darf. Alle Meinungen darunter verdienen den Respekt einer sachlichen, auch kontroversen Diskussion, sowie die Achtung der menschlichen Würde und geistigen Autonomie dessen, der sie äußert.

Dieses Prinzip, mit Blick auf eigene oder angenommene Befindlichkeiten Anderer in Frage zu stellen, stellt das Grundrecht der Meinungsfreiheit zur Disposition, damit aber auch den eigenen Rechtsanspruch, mit dem dieses Grundrecht in diesem Fall in Frage gestellt wird. So ist dieses Recht unteilbar und für eine offene Gesellschaft einer ihrer unverzichtbaren, existenziellen Werte.

Unter diesen Gesichtspunkten sind die anonymen, polemischen Kommentare in den sozialen Medien gegen die, der eigenen Ansicht widersprechenden Meinungen, an sich keiner Würdigung wert. Ein solches geistiges Niveau ist, ohne Schaden an der eigenen Reputation zu nehmen, nicht kommentierbar. Etwas diffiziler erweist sich dies bei einem offenen medialen Verriss unpopulärer Ansichten. Die Kritik einer Meinung, die öffentliches Interesse betrifft, ist an sich produktiv und sinnvoll, sofern sie nicht zum Ziel hat, eine, an und für sich sachlich bedingte Meinung, über die Herabwürdigung der Person, die sie äußerte, zu diffamieren. Das ist ein schäbiges Vorgehen, das mit keinem, noch so individuell berechtigten Anliegen, zu rechtfertigen ist.

Klaus Schneider Mai 2021

Die SPD und der respektable Weg einer Entscheidungsfindung

 

Häme und Spott begleitet die SPD bei dem Prozedere, ob sie als Partner einer großen Koalition Regierungsverantwortung übernehmen soll oder nicht. Während die Spitze der Parteihierarchie sich in dieser Frage schon festgelegt hat, die Gründe mögen von Eigennutz nicht ganz unberührt sein, lehnen Teile der Parteibasis einen solchen Schritt kategorisch ab.
Es ist nun vollkommen unerheblich, ob die eine oder die andere Seite die besseren Argumente präsentiert. Bemerkenswert ist doch, dass überhaupt Teile des Volkes, wenn auch nur Mitglieder einer Partei, in eine Entscheidung mit solche Tragweiter eingebunden werden. Diese Vorgehensweise entspricht weit mehr dem Geist einer lebendigen Demokratie, als die Praktiken bürgerlich, konservativer Parteien, unten ein Parteivolk, im politischen Olymp, darüber, eine allmächtige, allwissende Parteiführung. In Regierungsverantwortung verkommt so das demokratische System zu einer Farce, einer Parteioligarchie, die sich einen Dreck um die Interessen ihrer Wähler schert.
Offene Diskussionen bergen sicherlich auch unkalkulierbare Risiken, personelle wie sachliche. Die freie Meinungsäußerung ist jedoch ein Grundrecht und die Basis einer Demokratie. Was sollte falsch daran sein, dieses Grundrecht in eine politische Entscheidungsfindung einzubinden, auch wenn dadurch Sach- und Personaldebatten die Folge sind? In den Führungsetagen der Parteien sitzen keine Übermenschen mit überragendem Intellekt und moralisch integrem Charakter. Solch ein Vorgehen entspricht daher mehr dem ideellen Geist einer Demokratie, der moralischen Reife ihrer Repräsentanten, als lediglich stur der starren, repräsentativen Demokratie zu frönen. Diese weißt zu oft den Anschein einer temporär, demokratisch legimitierten Diktatur auf, als dass sie dem Ideal einer Demokratie entspricht. Kritisch sollten vielmehr die Praktiken bürgerlich, konservativer Parteien beleuchtet werden, die ihrer Basis politischen Sachverstand absprechen und deren Mitsprache scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Warum wohl?

Klaus Schneider Februar 2018