Angst – Schutz und Gefahr

 

 

In der Entwicklungsgeschichte der Menschheit kommt der Angst eine wichtige Funktion zu, als ein die Sinne ausbildender und Körperkraft aktivierender Schutz- und Überlebensmechanismus, der in realen oder auch nur fiktiven Gefahrensituationen ein entsprechendes Verhalten auslöst. Dies kann die Angst aber nur leisten, wenn weder zu viel davon das Handeln blockiert, oder zu wenig davon reale Gefahren und Risiken ausblendet.

Das Problem mit der Angst ist jedoch folgendes: Der Angstreflex ist von Natur aus sehr niederschwellig eingestellt. Eine pragmatische Disposition, da der Aufwand an überlebenswichtiger Energie bei einer Flucht relativ gering ist, das Risiko bei unkalkulierbaren Konfrontationen jedoch folgenschwere Auswirkungen, bis hin zum Tod, nach sich ziehen kann. Das hat die letzten Jahrzehnte dazu geführt, dass westliche Gesellschaften zunehmend ihr Heil in der Flucht vor allem und jenem suchen. Dazu zählen reale potenzielle Bedrohungen (Umwelt, Krieg, Terrorismus, usw.) und die ansteigende Ungewissheit durch die Zunahme gesellschaftlicher Komplexität. Der Primärgrund liegt wohl darin, dass für die Menschen in den westlichen Industrieländern viel auf dem Spiel steht- ihr Leben in physischer Unversehrtheit und abgesicherten, materiellen Umständen. Was das Angstpotential noch erhöht ist die sogenannte Kontingenzangst, das heißt die Angst vor der Unbestimmtheit, Unsicherheit, Orientierungslosigkeit und Optionsvielfalt, in der die Psyche sich nicht mehr zu Recht findet. Diese Form ist charakteristisch für unsere komplexen Gesellschaften und zeigt sich hier in der Zunahme psychischer Erkrankungen.

Die Gesellschaft wird zu den real existierenden Bedrohungen, viel von der Angst derer gefährdet und eingeschränkt, deren Handeln von zu viel, teils schon paranoider Angst bestimmt wird. Diese Form vergesellschafteter Angst ist folgenschwer, denn sie stellt ein unwiderstehliches Angebot an alle profilneurotischen Initiatoren repressiver Politik dar. Es ist für sie ein leichtes, das Spiel mit der Angst, vor allem, da das Risiko kein großes ist. Was vor solchen verderblichen Subjekten und deren Repressionsdruck schützen würde, wäre eine starke Gesellschaft, deren humanitäre Kultur maßgebend von Zivilcourage und weit weniger von Angst geleitet wird. Die Macht von autoritären, repressiven Systemen stützt sich vor allem auf Lügen und Angst. Lügen, die auf fruchtbare, nationaldümmliche Einfalt oder materielle Verlustängste fallen und der Angst, sich überhaupt des eigenen Verstandes zu bedienen, da dieses Tun eventuelle Nachteile für die eigene Person zur Folge haben könnte. Doch Angst war noch nie ein guter, nachhaltiger Ratgeber. Lassen die Menschen sich von ihr leiten, werden sie früher oder später die Rechnung bezahlen müssen und die übersteigt, der Erfahrung nach, jeden kurzzeitigen Vorteil, mit dem der Kniefall vor ihrer Angst honoriert wurde.

Klaus Schneider im März 2022

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.